Warum küsst Du fremde Lippen?
fragt Greta Brentano
Wenn ich auf meiner Terrasse sitzend in den Himmel blicke, entdecke ich immer wieder Wolken, die küssenden Liebespaare gleichen. Doch kaum wende ich mich meiner Tasse Earl Grey Tee zu, schon hat der Wind beim nächsten Himmelsblick die verliebten Wolken verweht. So flüchtig kann das Liebesglück sein.
Ein jeder weiß das, ohne es wahrhaben zu wollen. „Ewig sei die Liebe!“ fordert deshalb der Kitsch wie auch die Kunst. „True Love for Ever!“ lesen wir auf Tattoos. Und mit ihren weltberühmten Skulpturen „Der Kuss“ schufen sowohl August Rodin 1886 wie auch Constantin Brancusi 1908 Epitaphe, die mit der Unvergänglichkeit des Steins die „unsterbliche Liebe“ beschwören, und die gerade durch solche Magie die Flüchtigkeit der Liebe entlarven (siehe Abb. 2 und 4).
„In the lips that had whispered, the eyes that had lightened, love was dead,” dichtete Algernon Charles Swinburne in „The Forsaken Garden” 1876. Auch Richard Wagner beschwor die Einsicht, dass „unsterbliche Liebe“ todgeweiht sei: „Soll ich atmen, soll ich lauschen? Soll ich schlürfen, untertauchen? Süß in Düften mich verhauchen? — versinken — unbewusst — höchste Lust!“ singt Tristans Geliebte in „Isoldes Liebestod“ (Tristan und Isolde, Uraufführung 1865).

Ebenso lässt René Magritte‘s „Die Liebenden II“ Morbides erahnen. Warum sind die Häupter der Küssenden mit Tüchern umwickelt, sodass die Lippen sich nicht berühren? Und erinnern solche Tücher nicht an Verstorbene, die man pietätvoll zugedeckt hat? Tatsächlich berichten Kunsthistoriker von einem Kindheitstrauma, das den Maler inspiriert haben mag: Als er dreizehn Jahre alt war, ertränkte sich seine Mutter in der Sambre, einem Fluss in Châtelet (Belgien). Und als sie geborgen wurde, war ihr Gesicht mit ihrem weißen Nachthemd verhüllt.
Ein Menschenalter später (1993) malte Lucien Freud, der große Englische Neo-Realist, das schlafende Ehepaar Nicola und Leigh Bowery. Vom Sex ermattet liegen hier zwei Liebende in Harmonie vereint, obwohl sie unterschiedlicher kaum sein könnten. Er ein Koloss, der machtvoll die Schlafstätte für sich in Anspruch nimmt, sie ein zerbrechliches, fast kindhaftes Geschöpf, das zärtlich einen Fuß auf seinen kraftvollen Oberschenkel legt. Wer sagt, dass man zueinander passen muss, um zusammen zu sein?
Wir, die glücklichen Zeitgenossen des 21. Jahrhunderts, haben begriffen, dass Liebe ein Momentum ist, dessen Intensität sich umgekehrt proportional seiner Dauer verhält. Nur Konservative bestehen darauf, dass Gefühle konserviert werden sollten. Der Augenblick, vom dem wir gerne sagen würden „verweile doch, du bist so schön!“ (laut Goethe, Faust I), verlangt nach Kurzweil, um nicht Langeweile zu werden.
Zu diesem Glück sind nur wenige Frauen fähig, jene, die über das Talent zur Xenophilie verfügen. “Ich liebe das Abenteuer, wildfremde Frauen und Männer zu treffen“, so schildern Aspirantinnen ihre Motivation, sich bei mir (Greta Brentano – a Muse tonight®) als Muse zu bewerben.
“The heart is a lonely hunter”, dieser Romantitel der US-Autorin Carson McCullers hat mich schon früh betroffen gemacht. Wir modernen Nomaden der Kunst, der Politik oder des Managements wollen nach einem anstrengen Tag doch nicht einsam an einer Berliner Bar-Theke stranden.
Eine kleine Liebelei kann durchaus zur „wahren Liebe“ entflammen, schnell vergänglich zwar, doch unvergesslich. Und der Kuss Ihrer Muse wird Sie inspirieren, ein Liebes- und Lebenskünstler zu werden. Jedoch strebt die xenophile Affäre nicht nach jener Geborgenheit, die nur dauerhafte Freundschaft, Ehe und Familie einlösen können. Sie sucht das Abenteuer, die Expedition ins Reich unbewusster und unterbewusster Gelüste. Noch amüsanter als die Grenzen des Schicklichen einzureißen, ist oft sogar der spielerische Umgang mit ihnen, die Frivolität in Worten und Taten.
Der britische Performance-Künstler Leigh Bowery (der schon in Lucien Freuds Gemälde Modell stand, Abb.3) parodiert auf Fergus Greer‘s Foto (Abb. 4) jene Sex-Akrobatik, die durch pornografische Vorbilder zur Mode wurde. Transen, Drag Queens, Lesben, Schwule, Swinger-Paare und ganze Ensembles von Selbstdarstellern begegnen Ihnen in den Bars und Nightclubs Berlins. Doch wenn Sie es filigraner und feinsinniger mögen: Berlin hat 4 Opernhäuser, 60 Theater, 113 Kunst-Museen, 440 Kunst-Galerien, 85 öffentliche Bibliotheken und 14 Sterne-Restaurants. Ihre Muse führt und verführt Sie, wohin es Sie auch immer lockt…
Erneut blicke ich in den Himmel und sehe: Die unsteten Wolken küssen sich schon wieder.
Mehr inspirierende Eindrücke finden Sie auf: www.greta-brentano.de
Ich empfehle als Lektüre:
- Constant in Brancusi und Richard Serra – Zwei Erneuerer der Skulptur im 20. Jahrhundert im offenen Dialog. Hatje Cantz Verlag 2011, 243 Seiten mit 176 meist farbigen Abbildungen; ISBN-13: 9783775728201 und ISBN-10: 3775728201
- Leigh Bowery, herausgegeben von René Zechlin. Verlag Kehrer Heidelberg 2008; ISBN-13: 9783868280333 und ISBN-10: 3868280332
- René Magritte von Siegfried Gohr. DUMONT Literatur und Kunst Verlag 2009, 320 Seiten; ISBN-10: 3832191518 und ISBN-13: 978-3832191511
- Alexandre Lacroix: Kleiner Versuch über das Küssen. Ein Essay. Matthes & Seitz Verlag Berlin, 175 Seiten; ISBN 978-3-88221-033-0
- Otto F. Best: Vom Küssen. Ein sinnliches Lexikon. Reclam Verlag Leipzig 2003, 260 Seiten; ISBN 3-379-20056-5
- Lea Singer: Die Zunge. Roman. Deutscher Taschenbuch Verlag 2002, 378 Seiten: ISBN 3-423-12954-9
