„Jung und Schön“ – dieser Film von Francois Ozon
handelt von einer jungen Hure.
Kunst? Kitsch? Lüge oder Wahrheit?
Lesen Sie, was eine junge Hure dazu sagt:
Heute war ich* mit meiner Gefährtin Gwendolyn Nightwood im Kino. Wir wollten uns mal den neuen Film von Francois Ozon anschauen.
Wollten sehen, wie ein Monsieur Ozon uns sieht. Sehen – schauen – anschauen – sich an einem Anblick weiden, sich in Betrachtung versenken… für viele Konsumenten dieses Films wird, das war uns schon beim Betreten des Kinos klar, das Gaffen die Hauptmotivation sein, das delektierende Anstarren der Bilder, die Hoffnung auf einen Pornofilm in Spielfilmlänge und mit der sittlichen Legitimation frankophilen Kultur-Cinéasmus.
Solche Hoffnungen haben, ganz allgemein, ja ihre Berechtigung – ob dieser Film sie zu befriedigen vermag, kann ich nicht sagen. Voyeurismus ist eine sensible Passion. Objekt des Voyeurismus zu sein, oder sich einzufühlen in das Objekt der Betrachtung und der Begierde, ist auch eine Form des Voyeurismus, aber eine, die den Narzissmus einschließt. Lustvolle Selbst-Beobachtung. Wie beim Sex vor dem Spiegel.
Isabelle, Ozons Protagonistin, hat in einer Szene Sex vor einem Spiegel. Auch Gwendolyn und ich machen so etwas gelegentlich. Und wie bei Isabelle, ist unser promiskes Dasein nicht damit erschöpft, dass wir uns von Voyeuren anschauen lassen (und was sonst noch dazu gehört) – wir selbst sind auch Voyeure, Voyeurinnen unserer hingebungsfähigen Körper, und somit mehr als bloße Objekte. Kontrollierte Selbst-Objektivierung ist unser Tun. So wie Isabelle, die bei ihrer Entjungferung aus ihrem Körper heraustritt und das Geschehen aus einigen Schritten Abstand betrachtet, mit kühlem Interesse.
Ich finde, das hat der Herr Ozon recht aufmerksam beobachtet.
Wohlmöglich versteht er Frauen wie uns, oder beinahe wie uns: abgesehen von dem im Film wenig bedeutenden Unterschied, dass die junge Isabelle sich in der Illegalität bewegt (erstens, weil Prostitution in Frankreich leider verboten ist, zweitens, weil sie erst 17 ist), sind ihre Erfahrungen den unseren sehr ähnlich.
Ich würde sagen, es ist ein sehenswerter, anschaulicher Film. Man darf sich getrost eine Kinokarte kaufen, wenn man wissen möchte, wie es so ist – was es ist, was wir in unserem Beruf meistens so tun. Und was ihn so reizvoll für uns macht: Der immer wiederkehrende Moment, wenn wir auf einen Fremden treffen, von dem wir nichts wissen, außer, dass er uns begehrt. Das Herzklopfen kurz nach dem Betreten des Hotelzimmers, die Aufregung des Fremden, die uns ehrt. Die Magie des Entkleidens. Die ersten Berührungen, bevor die Körper verschmelzen. Und das Danach, das sich harmonisch anfühlen kann und wärmend, oder aber unsereins mit kühler Selbstgewissheit erfüllt. Oder mit süßer Melancholie. Das wohlige Duschen nach dem Akt. Die Rückkehr in die Welt der normalen Menschen, während wir ein köstliches Geheimnis in uns tragen, das uns Stärke schenkt.
Es ist etwas, das ich jeder Frau wünsche. Und eine Situation, in der jede Frau sich selbst einmal beobachten sollte, wenn ihr an ihrer weiblichen Raffinesse gelegen ist.
Der Reiz des Films aber bestand für mich nicht in seiner angenehm unaufgeregten Dokumentation solcher Szenen – sie sind für mich nichts Neues, kaum der Rede wert. Ich persönlich käme nicht auf die Idee, sie für mitteilenswert zu halten – aber das mögen die meisten Menschen anders beurteilen.
Das wirklich Überraschende im Film war das Verhältnis der Frauen zu einander.
Das Verhältnis von Mutter und Tochter. Es ist anders als bei mir. Isabelle hält ihre Tätigkeit geheim. Und auch, als es herauskommt, spricht sie mit ihrer Mutter nicht darüber. Die Mutter schlägt ihre Tochter, ist außer sich, sie empfindet Ekel und Verachtung. Sie ist so lasterhaft, klagt sie, während ihr Ehemann das Offensichtliche erkennt: Isabelle ist wunderschön. Diese schlichte Wahrheit aber ist nicht das, was die Mutter hören möchte. Handelt es sich um einen klassischen Schneewittchen-Konflikt? Ist die Mutter eifersüchtig auf ihre Tochter, die sie zur Staffelübergabe in Sachen weiblicher Begehrlichkeit zwingt?
Vielmehr ist es ist das Drama der Mutter-Kind-Symbiose, die von Seiten des Kindes aufgekündigt wird. Eine Symbiose, die vielleicht schon lange nicht mehr gilt, aber von der Mutter als Selbstverständlichkeit angesehen wurde. Das „eigene“ Kind, das „eigene Fleisch und Blut“, wird von der Mutter als Teil ihrer Selbst beansprucht. Als Bestandteil ihrer Selbstdarstellung, als ausgelagerter Teil ihres Ego. Die Tochter ist zur Mutter gehörig wie ein Abbild ihrer selbst, ihr Spiegelbild. Wenn nun das „eigene“ Kind ein Eigenleben entwickelt, und zwar eines, was sich so gänzlich von dem Leben, ja selbst der Vorstellungskraft der Mutter unterscheidet, wenn das „eigene“ Kind zum Fremden wird, oder, wie man´s nimmt, zu einem Menschen mit Anspruch auf Autonomie – dann ist das für eine solche Mutter unerträglich. Sie verliert die Orientierung, ist gezwungen, das schöne Spiegelbild zu ersetzen durch ein mehr realistisches, das sie auf sich selbst reduziert, als Bilanz vieler Jahre aufopferungsvoller Erziehung und unwiederbringlicher Jugend. Es ist das Drama des Verrats.
Und dann ist da noch Charlotte Rampling. Noch eine Frau, aber eine, die ganz anders ist. Die Würde, die Selbstsicherheit in Person. Sie spielt die Ehefrau eines Kunden, des Stammkunden von Isabelle, desjenigen, der beim Liebesakt unter ihr eines Todes stirbt, um den ihn viele Männer beneiden dürften (eine Szene, die weder ich noch Gwendolyn bisher erlebt haben).
Diese Frau nun möchte diese Léa kennenlernen, die ihren Mann als letztes gesehen hat. Und sie möchte mit ihr in das Hotelzimmer gehen, in dem sich die beiden regelmäßig trafen. Ohne jeden Vorwurf, ohne die geringste Spur von Eifersucht, ohne Hass oder Rachegedanken. Sie lässt sich leiten von der wunderbaren menschlichen Regung vorurteilsfreier Neugier, wirklicher Offenheit und dem Wunsch, zu verstehen. Mit dieser Empfehlung würde ich jeden auffordern, diesen aufschlussreichen Film zu schauen.
Oder, noch besser, falls Sie über das nötige Taschengeld verfügen: ein Treffen mit einer von uns glücklichen Frauen zu wagen, seien Sie nun ein Mann oder ebenfalls eine Frau.
Und falls Sie Charlotte Rampling sind: Sie, Madame, sind es, von der ich träume, manchmal, in der süßen Melancholie des Danach.
Text: © Salomé Balthus
„Jung und schön“ läuft ab Mitte November 2013 in deutschen Kinos.
Buch & Regie François Ozon
Produzenten Eric & Nicolas Altmayer
Kamera Pascal Marti
Originalmusik Philippe Rombi
Ton Brigitte Taillandier
Herstellungsleiter Sylvain Monod
1. Regieassistent Jérôme Brière
Casting Sarah Teper, Leïla Fournier
Ausstattung Katia Wyszkop




