So leichtfüßig kann ein Schwergewicht sein
„Ich würde nur an einen Gott glauben, der zu tanzen verstünde“, lässt Friedrich Nietzsche seinen Zarathustra sagen. Warum dann nicht gleich den ganzen germanischen Götterhimmel das Tanzbein schwingen lassen? Warum nicht den dahindämmernden Göttern in Richard Wagners „Ring des Nibelungen“ ein Ballett zu Füßen legen?
Maurice Béjart hat es gewagt, Wagners schwergewichtiges Gesamtkunstwerk auf die schwerelosen Füße der Tanzkunst zu stellen. Über die Uraufführung von 1990, die Béjart explizit für das Berliner Staatsballett choreographierte, schrieb Rolf Michaelis in der ZEIT-online (Ausgabe 12/1990): „ … eines der gewaltigsten Tanz-Projekt der Ballettgeschichte. … Nur dankt Béjart … als Choreograph ab. Tanz findet nur selten statt – und wenn, dann als … Ringel-Ringel-Reihen, als akrobatische Turnerei, als kitschiger Reigen …“. Man konnte meinen, der Giftzwerg Alberich persönlich habe ihm die Feder geführt. Tatsächlich war Michaelis jedoch eine Kritiker-Kapazität und ein qualifizierter Wagner-Experte. Man sieht: Ein Elefant irrt sich gewaltig!
Wer Wagner zu ernst nimmt, missachtet ihn
„Es ist ratsam einzusehen, dass der Künstler … kein absolut ernster Mensch ist. … und dass Tragödie und Posse aus ein und derselben Wurzel kommen …“*. Mit solchen Worten versuchte Thomas Mann zu Wagners 50. Todesjahr 1933 Frischluft in die Nazi-Köpfe der damaligen Wagnerianer zu pusten und erntete den wutentbrannten Protest von Hans Knappertsbusch, Richard Strass und Hans Pfitzner.
Doch gerade im „Ring“, wo Wagner das Paradoxe von Mythos und Morbidezza als plausible Konsequenz erkennen lässt, kann der Pathos der Ideologie nicht ohne Ironie vorgetragen werden. Seit der Antike war der Mythos ja eine Geschichtsfälschung zur Rechtfertigung und Verherrlichung von Krieg, Raub, Völkermord und Vergewaltigung (wie wir bei Klaus Theweleit dezidiert nachlesen können**).
Durch einen Wust widerstrebender Gefühle lässt Wagner sein Opernpublikum diesen Wahn miterleben – und seine Dekadenz. Im Vollrausch der Emotionen erfahren wir deren Fadenscheinigkeit. Inspiriert von Schopenhauers Skeptizismus, macht Wagner jenen Zersetzungsprozess hörbar, der dem historischen Größenwahn eigen ist. Anders aber als etwa Kant mit dessen „Kritik der reinen Vernunft“ konfrontiert Wagner uns mit einer Kritik des Wähnens und Wahnsinns: „Wahnheim flieh ich auf immer“ (Wotan im Schlussakt).
Da mag sich der Leser fragen, wie ein Adolf Hitler ausgerechnet zu Richard Wagners Anbeter werden konnte. Unfähig zur Ironie und bar jeden Humors hat Hitler sein Idol verkannt. Wäre ihm sonst entgangen, dass Wagner ein Pendant des „Gröfaz“ im „Ring“ ebenso scharfsinnig wie trefflich karikiert hat: als Zwerg Alberich.
Ballet der Liebe, der Lust und des Gelächters
Gleich zu Beginn, wenn Loge als Götterbote und gewitzter Luzifer auftritt, ahnen wir, dass dieser „Ring“ auch eine Revue sein könnte und Maurice Béjart uns vielleicht die Nähe von Richard Wagner und Jaques Offenbach augenzwinkernd nahelegen will. Doch spätestens wenn Brünnhilde mit Ihrer Kampftruppe die Bühne erobert und sich im eng anliegendem Leder-Fetischkostüm mit laszivem Hüftschwung als Domina zu erkennen gibt, bricht Gelächter bei den Zuschauern aus. Ein befreites Lachen. Dieser Fünfstunden-Abend verspricht kurzweilig zu werden. Trotz Götterdämmerung kein Gottesdienst.
Zur Polit-Satire mutiert das Stück, wenn Fafner als chinesischer Drache, ein Gott und Weiser – statt als Lindwurm – Siegfrieds Revolte zum Opfer fällt. Die neue Ordnung besiegt die alte. Doch Siegried im naiven Fieber der Revolution, hört nicht auf des Weisen Warnung. So wird auch er wie alle Revolutionäre der Korruption und dem Verrat zum Opfer fallen. Ein Treppenwitz der Weltgeschichte, den Béjart vor allem durch den Auftritt des Paares Krimhild – Alberich pointiert: Pelzbehangen und hinkefüßig (mit Balletschuh links und High-Heels rechts) zeigt sich die Mutter des Siegfried-Mörders Hagen als Inbegriff der korrupten, dem Erfolg verfallenen Künstlerin. So geht schließlich die ganze Bande der Promis, Götter und Helden zum Teufel. Als Hoffnung bleibt nur die Liebe.
Wahre Liebe, sittenwidrig und wunderbar.
Für Maurice Béjart ist sein „Ring um den Ring“ ein „körperlicher Kommentar“ zu diesem Meisterwerk des Geistesriesen Wagner. Alles Monströse meidend (und Wagners Musik deshalb nur per Lautsprecher oder als Klavierauszug zitierend) gelingen ihm die schönsten und sinnlichsten Partien dort, wo es um Liebe geht. Vor allem um Sex: Wie ein bekifftes Woodstock-Pärchen in fetzigen Jeans fallen die Geschwister Sieglinge und Siegmund liebestrunken übereinander her.
Und Göttervater Wotan macht keinen Hehl daraus, dass er seine Tochter Brünnhilde auch unterhalb der Gürtellinie liebt, und wenn diese mit ihrem Halbruder Siegfried auf einem Bechstein-Flügel sich von ihrer Keuschheit befreit, führen uns beide vor, wie bieder die Stellungen des Kamasutra doch sind, verglichen mit diesem pikanten Pas de deux von Nadja Saidakova und Michael Banzhaf.
Hat man Wagner je so sinnlich erlebt? Wohl kaum. Doch wie das Bayreuther Genie so ist auch Béjart der Typus Lustmolch, der von sich und seinem Ensemble Höchstleistung fordert. Allen Tänzern gibt er ihre eigene Gesten-Sprache, allen Themen (das Rheingold, der Ring, die Liebe, der Verrat …) ihre spezifische Choreographie – analog zu Wagners Leitmotiven.
Hundertzwanzig Beine und kein Fehltritt
„Doch leider hat Béjart den Schwenk zum Kapriziösen leichtfertig verspielt, indem er … die 120 Beine seiner Truppe … nur zur Verstärkung von Wagners Story, nicht aber zu deren frecher Kontrapunktion nutzt“, lästerte Klaus Umbach über die Uraufführung 1990 in DER SPIEGEL.
Nur wenig hat sich bisher am Stück, jedoch sehr viel im Auge des Betrachters verändert. Statt die Verwurstung Wagners zu wollen, erfreuen wir uns an der Leichtigkeit des Seins, die uns trotz aller Tragödie Trost verheißt. Wir verdanken sie vor allem jener Leichtigkeit des Scheins den das Berliner Staatsballett über annähernd fünf Stunden bewahrt. Nur wer in der ersten Reihe sitzt, sieht: Hier wird schweißtreibend geschuftet. Doch die Solisten wie das Corps de Ballett tanzen wie zum Vergnügen, leichtfüßig und ohne Fehler.
Vladimir Malachow hat sein Ballett auf Weltspitzen-Niveau trainiert. Nur den Berlinern vertrauen die künstlerischen Erben des Maurice Béjart (Elisabeth Cooper, musikalische Leitung) und Bertrand d’At (choreographische Einstudierung) das Opus Maximum ihres 2007 verstorbenen Dionysos an. Und die Zuschauer wissen – und hoffentlich weiß es auch das Kulturreferat – was Berlin dem weggelobten Malachow zu verdanken hat.
Die Besetzung:
Loge: Reiner Krenstetter; Brünnhilde: Nadja Saidakova; Wotan: Dmitry Semionov; Siegfried: Michael Banzhaf: der junge Siegfried: Marian Walter; Alberich: Vladislav Marinov; sowie weitere Solisten und das Corps des Ballett des Staatsballetts Berlin; Choreographie: Maurice Béjart; Einstudierung: Bertrand d‘At; Szenarium: Philippe Godefroid und Maurice Béjart; musikalische Leitung und am Flügel: Elisabeth Cooper; Musik: Richard Wagner; Sprecher und Conférencier: Michael Denard.
Vorstellung vom 19. April 2013 in der Deutschen Oper Berlin.
(Text: Greta Brentano)
Links: Staatsballett Berlin www.staatsballett-berlin.de
Quellen: * Thomas Mann.: „Leiden und Größe Richard Wagners,“ in Gesammelte Werke in 13 Bänden, Bd. 9. S. Fischer, Frankfurt 1974 ISBN 3100481771 S. 363 – 427; als TB z. B. ebd. 1995 ISBN 359610310X
** Klaus Theweleit: „Männerphantasien“ 2 Bde., Verlag Roter Stern/Stroemfeld 1977, 1978, Lizenzausgabe als TB bei Rowohlt 1983−94, DTV, Piper 2000. Bd. 1: Frauen, Fluten, Körper, Geschichte, 1977. Bd. 2: Männerkörper. Zur Psychoanalyse des Weißen Terrors, 1978.
Klaus Theweleit: „Der Pocahontas Komplex“ (auf 4 Bände angelegt) „ Buch der Königstöchter“. Von Göttermännern und Menschenfrauen. Mythenbildung vorhomerisch, amerikanisch. Stroemfeld, Frankfurt am Main 2013, ISBN 978-3-87877-752-6.
Empfehlungen: Peter Wapnewski: „Der Ring des Nibelungen“, Richard Wagners Weltendrama. Piper Taschenbuch, 336 Seiten, € 13,99 ISBN-10: 3492226299 und ISBN-13: 978-3492226295
Loriot erzählt Richard Wagners „Ring des Nibelungen“ ( und Herbert von Karajan dirigiert die Berliner Philharmoniker); Audio-CD, Verlag: Universal Music; € 23,99; ISBN-10: 3932784359; ISBN-13: 978-3932784354